Gedanken zum „Vollkommenen Markt“

Während meines Ökonomik-Studiums haben wir uns intensiv mit der Theorie des „Vollkommenen Marktes“ und seinen Voraussetzungen auseinandergesetzt. Die Grundaussage war stets, dass nur die „Vollkommene Konkurrenz“ für ein gesamtgesellschaftliches Wohlstandsmaximum sorgen kann. Die Frage, die ich mir dabei immer gestellt habe, ist: Ist das tatsächlich immer der Fall? Kann ich mit den gegebenen Voraussetzungen eine Alternative mit gleichem Ergebnis erzeugen? Also sind die Vorannahmen des „Vollkommenen Marktes“ so gefasst, dass sie automatisch zur Effizienz führen?

Zuerst also die Vorannahmen:
• Vollständige Information
• Vollständige Verträge
• Gleiche Präferenzen
• Homogene Güter
• Unendliche Anpassungsgeschwindigkeit der Preise
• Keine Transaktionskosten

Einige der Vorannahmen bedingen einander. So sind z.B. vollständige Verträge nur dann möglich, wenn es keine Transaktionskosten gibt. Einfach aus dem Grund, weil ich nur dann die Dauer der Verhandlung und die dadurch entstehenden Kosten (Anwälte etc.) vernachlässigen kann. Als weitere Annahmen gehe ich von einer geschlossenen Volkswirtschaft aus.
Anstelle der „Vollkommen Konkurrenz“ gehe ich jetzt von einem Wirtschaftssystem aus, bei dem zentral produziert wird. Die Bevölkerung dieses Staates/dieser Gesellschaft bestimmt in Verhandlungen darüber, was in welchen Mengen produziert und wie es verteilt wird. Jeder Bürger hat ein Veto-Recht, kann also mit einem einfachen „Nein“ die ganze Produktion bzw. Verteilung verhindern. Der Produktions- bzw. Verteilungsvertrag ist demnach ein „Vollständiger Vertrag“ im obigen Sinne, der zustande kommen kann, da es keine Transaktionskosten gibt. Die „vollständigen Informationen“ sorgen dafür, dass jeder Marktteilnehmer weiß, was der „Preis“ des anderen ist, um dem Produktions-/Verteilungsvertrag zuzustimmen.

Das Ergebnis ist hinsichtlich der Effizienz gleich demjenigen unter „Vollständiger Konkurrenz“ allerdings egalitärer (aber nicht egalitär). Das muss auch zwangläufig so sein. Die Verhandlungen, die vorher zwischen einzelnen Geschäftsleuten auf dem „Markt“ stattgefunden haben, werden nun lediglich in ein anderes Umfeld verlegt. Es wird unter den gleichen nutzenmaximierenden Prämissen verhandelt und ebenso ergeben sich „Gleichgewichte“. Der Wechsel vom Privateigentum zu Gemeineigentum hat unter den getroffenen Annahmen keine Auswirkungen auf die Effizienz.

Wie realistisch sind solche Wirtschaftssysteme?
Historisch betrachtet, hat es tatsächlich vergleichbare Wirtschaftsordnungen gegeben. Die präkolonialen Kulturen Afrikas und Amerikas haben teilweise ihre Wirtschaft so gestaltet. Wie bei den real existierenden „Marktwirtschaften“ entsprachen auch diese Systeme selten bis gar nicht der oben beschriebenen Reinform, sondern waren häufig Hybriden unterschiedlichster Wirtschaftsordnungen. Z.B. wurden Güter privat produziert, anschließend kollektiv gesammelt und nach gemeinsamer Absprache verteilt. In anderen Gesellschaften war es durchaus üblich die Verteilung vor einer gemeinsamen Produktion zu bestimmen – etwa, aber nicht nur bei Jagdgesellschaften.

Die meisten dieser Gesellschaften existieren heute nicht mehr, obwohl sie zu ihrer Zeit den Bedürfnissen ihrer Mitglieder entsprochen haben. In der Regel wurden sie durch militärische Aktionen europäischer Mächte zur Annahme der europäischen Wirtschaftsordnungen (die damals in der Regel keine marktwirtschaftlichen im heutigen Sinne waren) gezwungen.
Zudem hat dieses Wirtschaftssystem den Nachteil, dass seine Mitglieder weniger Anreize zu technischen Neuerungen haben. Zum einen sind sie sozial abgesichert: die Gemeinschaft, in der sie leben, übernehmen einen Teil der Risiken und fangen z.B. Missernten, Krankheit und Tod auf. Deshalb muss sich etwa kein Bauer sorgen machen, dass sein Feld nicht bestellt wird, wenn er krank wird oder seine Kinder verhungern müssen, sollte er sterben. Zum anderen kommt es zu keiner Konzentration von Vermögen oder Leistungen, die in Innovation umgewandelt werden könnte (zu dem Punkt werde ich später noch einmal kommen, wenn ich über Monopole spreche).

Ob diese Nachteile absoluter Natur sind oder sich die technische Unterlegenheit nicht über die Jahrhunderte ausgeglichen hätte und ihren Ursprung in geographischen nicht gesellschaftlich-sozialen Ursachen hat, kann Dank der historischen Entwicklung nicht mehr festgestellt werden. Dennoch zeigt sich, dass weder Privateigentum noch eine auf Konkurrenz basierende Wirtschaft Voraussetzung für Produktions- oder Verteilungseffizienz sind.

Ole Gerlach

Bertaux, P. (1998): Afrika – Von der Vorgeschichte bis zu den Staaten der Gegenwart, Frankfurt am Main, Fischer Taschenbuch Verlag GmbH.
Diamond, J. (2010): Arm und Reich – Die Schicksale menschlicher Gesellschaften, 6. Auflage, Frankfurt am Main, S.Fischer Verlag GmbH.
Graeber, D. (2012): Schulden – Die ersten 5000 Jahre, 7. Auflage, Stuttgart, Klett-Cotta.
Herdzina, K/ Seiter, S. (2009): Einführung in die Mikroökonomik, 11. Auflage, München, Verlag Franz Vahlen GmbH.
https://de.wikipedia.org/wiki/Vollkommener_Markt; (zuletzt besucht am: 21.01.2015).

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